Seidenraupenpuppen sind ein Nebenprodukt der Seidenverarbeitung. Sie wurden bisher nach der Gewinnung der Seide aus dem Kokon zumeist entsorgt. Doch heute weiß man: Seidenraupen sind zum Wegwerfen viel zu schade, weil sie eine wichtige alternative Proteinquelle darstellen. Fabiola Neitzel, Geschäftsführerin des Start-up Prombyx, ist sogar davon überzeugt, dass Seidenraupenpuppen nicht nur weitaus nachhaltiger und umweltfreundlicher als tierische Proteinquellen sind, sondern auch eine bessere Ökobilanz als viele andere Zucht-Insekten aufweisen. Kein Wunder: Seidenraupen wachsen in Indien ganz ohne Heizung und Getreide-Futter. Das schlägt sich auch positiv in der CO2-Bilanz nieder. Prombyx will die Wertschöpfungskette der Seidenproduktion verlängern und hat sich zum Ziel gesetzt, Seidenraupenpuppen für die Anwendung in der Heimtiernahrung zu nutzen. Ein ehrgeiziges Ziel! Doch Neitzel hat in ihrem Leben schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie auch weit entfernte Ziele meistern kann. Denn die junge, zierlich wirkende Frau ist äußerst willensstark, sehr wissbegierig und brennt für ihre Aufgabe. Davon konnten sich Besucher des Heimtier-Kongresses 2023 in Hamburg schon persönlich überzeugen, als Neitzel dank ihres mitreißenden Pitches den Preis des pet Best Newcomers nach Hause mitnehmen konnte.
Wissenschaftlicher Hintergrund
Für alternative Proteinquellen und speziell für Insekten hat sich Neitzel schon zu Schulzeiten interessiert. Nach dem Abitur studierte sie Lebensmittelmanagement an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Es folgte ein Praktikum in der Forschungsabteilung der Katz Biotech AG. Diese Firma hat es sich auf die Fahnen geschrieben, als Alternative zu chemischen Pestiziden nützliche Insekten zu züchten und deren Rolle in der Landwirtschaft voranzutreiben. Neitzel lernte in dem in Brandenburg gelegenen Betrieb viel über Insekten, ihre Zucht und ihren Einsatz in verschiedenen landwirtschaftlichen Umgebungen. Als ein Glücksfall erwies sich für sie, dass, zeitgleich zum Ende ihres Praktikums, Insektenbiotechnologie deutschlandweit erstmalig in Gießen als neuer Studiengang angeboten wurde. Über Umwege erhielt sie für den viersemestrigen, nur auf wenige Studenten beschränkte Master-Studiengang eine Zusage und erwarb dort das nötige Rüstzeug, das ihr für ihren Gang in die anschließende Selbstständigkeit sehr zugute kam.

Von der Vision zur Idee
Schritt für Schritt entwickelte sich bei Neitzel die Vision, Seidenraupenpuppen als Proteinquelle für Heimtiernahrung zu nutzen. Großen Einfluss auf ihren weiteren Werdegang hatte ein Aufenthalt in Indien, wo sich die junge Frau vor Ort umfassend über die Seidenproduktion informierte. „Wir haben viele Kilometer auf holprigen, staubigen Straßen hinter uns gebracht, um Kleinbauern, Märkte für Seidenkokons, Verarbeiter und Forschungsinstitute in verschiedenen Regionen Indiens zu besuchen“, schreibt Neitzel auf ihrer Firmen-Website. In Indien lernte sie nicht nur die komplette Wertschöpfungskette der Seidenproduktion kennen. Sie knüpfte auch wichtige Kontakte zu potenziellen Lieferanten und dortigen Forschungseinrichtungen. Und sie erfuhr auch, welche Unterschiede es in der Produktion und Verarbeitung von Seide gibt.
Bis Neitzel allerdings 2021 ihre Firma Prombyx ins Leben gerufen hat, war ein langer und steiniger Weg, der durch die Folgen der Corona-Pandemie sehr erschwert wurde. Als eine große Hilfe erwies sich, dass ihr Vater, Dr.-Ing. Dipl.-Wirt Ing. Reinhold Neitzel, von dem Vorhaben seiner Tochter zu 100 Prozent überzeugt war. Als Gesellschafter und Berater des neuen Unternehmens stärkte er ihr von Anfang an den Rücken. Aufgrund seiner über 30-jährigen Erfahrung im Automobilbau verfügt er über viel praktische, auch internationale Erfahrung im Geschäftsleben und in der Industrie, von der seine Tochter stark profitieren konnte. Zielorientiert meisterte Neitzel all die Herausforderungen. Aktuell ist sie mit der Entwicklung ihres Unternehmens ganz zufrieden. In diesem Jahr rechnet sie sogar, erstmals schwarze Zahlen schreiben zu können.

Wichtige Meilensteine
In diesem Frühjahr ist Prombyx von ihrem bisherigen Domizil an das Fraunhofer-Institut der Stadt umgezogen. Unter der Leitung von Prof. Andreas Vilcinskas entsteht in dieser Forschungseinrichtung in unmittelbarer Campus-Nähe ein weltweit wohl einzigartiges Zentrum für die Erschließung von Bioressourcen für die Anwendung in der Medizin, im Pflanzenschutz und in der Lebensmittelindustrie. Dabei setzt das Fraunhofer Institut auch auf die Innovationskraft von jungen und dynamischen Start-up-Unternehmen wie etwa Prombyx. Mi einem weiteren Start-up, Entosolutions, soll in Gießen eine Insektenzucht im ganz großen Stil geschaffen werden. Das ehrgeizige Ziel ist es, ein „mittelhessisches Silicon Valley für die Insekten-Biotechnologie“ auf die Beine zu stellen. Dafür soll auf einer Fläche hinter dem Fraunhofer-Gebäude eine Art Technikum entstehen, wo ab dem kommenden Jahr im großen Stil Insekten, vor allem Mehlwürmer, produziert und verarbeitet werden sollen.
Einen weiteren wichtigen Meilenstein setzt Prombyx auch mit einem neuen Produkt, das vor kurzem auf den Markt gebracht wurde. Dabei handelt es sich um eine neue Variante: mechanisch entfettetes Mehl aus Seidenraupenpuppen mit 65 Prozent Rohprotein und 15 Prozent Rohfett. „Diese innovative Zutat ermöglicht Trocken- und Nassfutterrezepturen für Hunde und Katzen mit Fleischallergien bei gleichzeitig sehr geringer CO2-Bilanz“, betont Neitzel. Europas führende Fachhandelskette Fressnapf hat den Innovationswert dieser Neuheit schnell erkannt und will im Juni unter dem Dach einer ihrer Exklusivmarken Hunde- und Katzennahrung mit Proteinen auf Basis von Seidenraupenpuppen europaweit und im großen Stil in ihren Märkten einführen. Weiteren Auftrieb dürfte die Ernährung von Hunden und Katzen mit Futter, das auf der Basis von Seidenraupenpuppen hergestellt wird, auch bekommen, wenn die Ergebnisse einer dreijährig laufenden DFG-Akzeptanzstudie an gesunden und adipösen Hunden sowie Katzen herausgegeben werden. Doch bis dahin wird es noch etwas dauern.